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Monday, October 17, 2011

Love me or leave me...

 Pressestimmen
15.12.2009 / WeiberDiwan: "Das Buch gräbt auf unterhaltsame Weise an den Fundamenten (pop)kultureller Selbstverständlichkeiten."

Kurzbeschreibung

Romantische Liebesideale, die als heterosexuell, monogam, in höchstem Maße subjektiviert beschrieben werden können, dominieren nach wie vor unsere Vorstellungen von Liebe. Die Autorinnen und Autoren konfrontieren diese Lebens- und Liebessituationen mit Bildern aus dem medialen Alltag. In diesem Spannungsfeld zwischen persönlichen Beziehungen, gesellschaftlichen Normierungen und etablierter Geschlechterordnung transportiert Popkultur visuelle und sprachliche "Liebes-Codes", deren Bildung und Funktion analysiert wird. Mit Beiträgen von Eva Illouz und Eitan Wilf, Doris Guth, Ruby Sircar, Andrea Braidt, Diedrich Diederichsen, Angelika Baier, Heide Hammer und Gabriele Resl, Stephanie Kiessling, Sissy Szabó Quelle: amazon.de
 
Auszug aus dem 1. Beitrag:
Ein weiteres Merkmal, das die Liebe von anderen Gefühlen unterscheidet, ist ihre narrative Beschaffenheit. Die Liebe entspinnt sich wie eine Geschichte, sie wird von ihrer Form her als narrativ empfunden und ist eng mit der Selbstnarration verbunden. Die meisten anderen Emotionen werden als punktuelle Ereignisse erlebt, die zwar Teil einer Geschichte sein können, die jedoch nicht dafür geschaffen sind, uns unser Ich in all seinen Ausprägungen zu schildern. (Unvorstellbar, dass ein Gefühl wie Wut den Lebensweg eines Menschen bestimmen könnte; das Leben auf eine Liebesbeziehung bzw. Liebesbeziehungen zu reduzieren fällt uns hingegen leicht (...) Das einzige vergleichbare Gefühl ist vielleicht die Rache, die ebenfalls im Zentrum einer Lebensgeschichte stehen kann.

Die Liebe ist also eine kulturelle Narration, die auf weiter gefasste kulturelle Narrationen des Selbst verweist. Ebenso wie andere Geschichten ist sie durch die ihr innewohnenden kulturellen Codes definiert.
Ein kultureller Code ist per definitionem ein konzeptuelles System, das sich um zentrale Gegensätze und Gleichsetzungen herum gruppiert, in denen Begriffe wie - Frau und Mann - einander gegenübergestellt werden, wobei jeder Begriff mit einem Bündel symbolischer Attribute belegt wird.
Kulturelle Codes liefern die Grundlage für Konnotationen.

Über kulturelle Codes wird soziale Realität gelesen, mitgeteilt und gestaltet. Poststrukturalistischen Historikerinnen und Soziologinnen zufolge vermittelt sich Bedeutung vor allem über paradigmatische Gegensätze und syntag-matische Assoziationen. So beinhaltet der US-amerikanische kulturelle Code für Liebe "häufig" Kategorien wie "Behutsamkeit", "Wärme" und "Freundschaft", nicht aber Bedeutungen wie "Lust" oder "wilde Leidenschaft". Kulturelle Codes wurzeln in der Gesellschaft, ihren Einrichtungen, Organisationen und standardisierten Prozessen, von denen ausgehend sie sich wie ein Geflecht aus Gegensätzen und Assoziationen ausbreiten.

In der Liebe spielen folgende institutionelle Strukturen eine wesentliche Rolle bei der Ausprägung kultureller Codes:
1. Religion
Die Kulturgeschichte der Liebe belegt, dass die Religion einen entscheidenden Einfluss auf die Normen nimmt, die Ehe und Sexualität regeln. Die katholische Kirche etwa setzte einen kulturellen Code der sexuellen Enthaltsamkeit durch und prägte das Ideal der romantischen Liebe als einer rein geistigen Empfindung, die vom Sexualtrieb abgespalten ist.'8 Die protestantische Theologie unterscheidet sich in diesem Punkt grundlegend von der katholischen, was sich auch im Umgang mit der Liebe niederschlägt. Ehe, Sexualität und Fruchtbarkeit sind hier positiv konnotiert und werden uneingeschränkt begrüßt und gefördert. Anders als im katholischen Christentum, wo Sexualität mit der Ursünde in Verbindung gebracht wird, gehört sie bei den Protestanten zum Plan Gottes dazu und wird nicht als störendes Element empfunden. Dies legt den Schluss nahe, dass auch die jüdische Religion und ihre rituellen Praktiken die gängige Vorstellung der Israelis von Ehe, Fruchtbarkeit und Sexualität beeinflusst haben.

2. Strategien des wirtschaftlichen Überlebens
Historikerinnen haben übereinstimmend gezeigt, dass immer wenn in der Geschichte Individuen in der Lage waren, ihr Leben unabhängig vom Vermögen der Familie zu bestreiten, und die wirtschaftlichen Bedingungen eine größere Mobilität zuließen, die Ehe für das ökonomische Überleben an Bedeutung verlor.'9 Dies wiederum führte zu einer größeren Freiheit in der Partnerinnenwahl. Ein freier Arbeitsmarkt, die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft ein Auskommen zu sichern, das gesetzlich verankerte Recht auf Privateigentum und der Aufstieg des Individuums — alle diese Faktoren deuten darauf hin, dass der Kapitalismus seinen Teil dazu beigetragen hat, dass die romantische Liebe heute mehr denn je als entscheidende Grundlage für die Ehe gilt.

3. Gemeinschaft oder Strukturen sozialer Solidarität
Wenngleich die Liebe seit jeher in zahlreichen Kulturen und Gesellschaften besungen wird, ist sie doch erst mit dem Aufkommen des Individualismus als vorherrschender Ideologie zu einer rechtmäßigen und zentralen Emotion des Selbstseins geraten. Generell ist der Individualismus durch zwei Attribute - das eine privat, das andere politisch — gekennzeichnet: Erstens, jedes Individuum ist einzigartig und hat das Recht, seine Einzigartigkeit zu erkunden und auszuleben (expressiver Individualismus). Und zweitens, die Rechte des Individuums haben Vorrang vor den Rechten der Gemeinschaft. In der Geschichte des Westens erfüllt die Liebe beide Attribute: Wenn sich ein Mensch in die Einzigartigkeit eines anderen verliebt, drückt er dadurch gleichzeitig seine eigene Einzigartigkeit aus. Und mehr noch, die Liebe bestätigt auch das unveräußerliche Recht des Individuums auf freie PartnerInnenwahl, weil jede Wahl, die es trifft, anerkannt wird, ungeachtet nationaler, religiöser, ethnischer, sozialer oder sexueller Unterschiede. In diesem Sinn ruft die romantische Liebe zwei verschiedene Definitionen von Individualismus auf.

4. Die Kluft zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen
Eines der wesentlichen Merkmale des Kapitalismus war die Abspaltung der biologischen von der ökonomischen Reproduktion und damit die Abschiebung der Frauen in die unbezahlte Arbeit. Die klare Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre führte zu einem neuen weiblichen Selbstverständnis, das hauptsächlich von Emotionen und den engen Beziehungen zu den Kindern, den Eltern und dem Ehemann geprägt war. Eine der dramatischsten Auswirkungen der Aufteilung in privat und öffentlich auf das Selbstbild der Frau war, dass mit fortschreitendem Kapitalismus der Bereich Arbeit und Politik immer mehr als »unauthentisch«, »erzwungen« und »künstlich« betrachtet wurde, der Bereich des Privaten und Emotionalen hingegen als idealer Ort, um das wahre Ich auszuleben. Die private Sphäre war identitätsstiftend geworden, was dazu führte, dass die Frauen ihr Ich nun über ihre »Innerlichkeit« definierten, sich fortan nur noch mit ihren Emotionen und persönlichen Beziehungen beschäftigten und diese Beziehungen als die einzig wahre, authentische Bühne der Selbstverwirklichung postulierten. Die romantische Liebe gehört historisch gesehen zu einer Form des Ichs, die wir als »psychologisches Selbstsein« bezeichnen können, die introspektiv ist und die das Gefühlsleben als Spiegel des wahren Ichs begreift.

5. Gestzgebung
Welche Politik ein Staat etwa in Sachen Hypotheken, Steuern oder der Steigerung oder Senkung der Geburtenrate verfolgt und wie er solche Punkte gesetzlich regelt, wirkt sich auch auf die Normen aus, nach denen die Menschen ihre jeweiligen romantischen Verhaltensmuster entwickeln. Geschlechterverhältnisse und heterosexuelle Beziehungen, ja sogar die romantische Liebe sind innerhalb der verschiedenen Institutionen wie Staat, Familie und Markt organisiert und strukturiert. (So kann der Staat zum Beispiel bestimmte sexuelle Beziehungen fördern oder bestrafen, er kann die Geburtenrate steuern, Scheidungsgesetze erlassen und so weiter.)

6. Der kulturelle Zusammenhang in dem die sexuellen Beziehungen organisiert sind:

Dieser kann grob unterteilt werden in Normen (»sich in eine verheiratete Person zu verlieben, ist unmoralisch«), Werte (»die wahre Liebe zu finden ist das höchste Gut«) und öffentliche Narrationen, die als Orientierungen dafür dienen, wie Ereignisse betrachtet, eingeordnet und beurteilt werden können (wenn Jakob in der biblischen Geschichte auf Rachel wartet, dann ist dies insofern eine kulturell legitime Narration, als sie die Legitimität der Macht des Patriarchats aufrechterhält, in dem Männer Frauen gegen Waren oder Arbeit eintauschen; in einem therapeutischen narrativen Rahmen hingegen würde es als »selbstzerstörerisch« gelten, wenn jemand jahrelang auf einen geliebten Menschen wartete, ohne seine Gefühle auszuleben).

Auch wenn die Vorstellung der romantischen Liebe im europäischen Bewusstsein in der einen oder anderen Form schon immer vorhanden war, ging es dabei lange Zeit nicht um Selbstnarration; diese kam in der romantischen Liebe erst mit dem Einzug der Moderne zum Tragen. Erst dann entstand das literarische Genre des Romans mit den entsprechenden Geschichten.

An dieser Stelle soll betont werden, dass kulturelle Codes nicht in den Köpfen der Menschen existieren, sondern über organisierte soziale Beziehungen und Einrichtungen immer wieder vorgelebt werden.

Kulturelle Codes werden zwar von den Mitgliedern einer Gemeinschaft anerkannt und umgesetzt, doch gleichzeitig werden sie auch von institutionalisierten Agenten wie Ärzten, Psychologen und Geistlichen verstärkt und durchgesetzt.

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