Rezension Dagmar Buchta 15. Dezember
2013, dieStandard.at
Mit "Angezogen" legt Barbara
Vinken eine Geschichte der Mode vor, die abseits üblicher
Erzählstile von Entfremdung und Fetischisierung berichtet
Den Wandel der Mode als bloße
Launenhaftigkeit exzentrischer DesignerInnen abzutun sei weit
gefehlt, meint Barbara Vinken. Denn ganz gleich, ob wir modebewusst
sind oder nicht, bei der Kleidung folgen wir - meist ahnungslos -
bestimmten Regeln, denen zu entkommen gar nicht so leicht ist. In
ihrem neuen Buch "Angezogen" beschreibt die deutsche
Literaturwissenschafterin die wechselnden Moden als ein
differenziertes Zeichensystem, das die kulturellen und
gesellschaftspolitischen Bedingungen der Geschlechter widerspiegelt
und in ihrem Ausdruck sogar noch verstärkt.
Am Beispiel der Unisexmode trete das
Zusammenspiel besonders deutlich zutage. Obwohl sich die Kleidung von
Frauen und Männern seit der Moderne angenähert hat, heißt das noch
lange nicht, dass sich beide gleich anziehen. Ein Blick auf die
herkömmliche Streetwear genügt, um diese These zu verifizieren:
Männer treten nach wie vor zum überwiegenden Teil im Anzug oder in
Hose, Sakko und Blouson auf, meist in gedeckten Farben. Also
gewissermaßen uniformiert und unscheinbar, wobei - und das ist laut
Vinken am prägnantesten - ihre Geschlechtlichkeit im Sinne sexueller
Attribute unkenntlich, ja nahezu verborgen bleibt. Im Vergleich dazu
offenbare die Frauenkleidung das genaue Gegenteil.
Gescheiterte Befreiungsversuche
Auch wenn Frauen in "männliche
Kleidungsstücke" wie Hosen und Anzüge schlüpfen, sei es ihnen
unmöglich, das "Weiblich-Weibische" hinter sich zu lassen
und androgyn oder asexuell zu werden, wie es emanzipatorische
Befreiungsbestrebungen beabsichtigt hatten. Der Clou dabei: Die
Versuche des Abwerfens alter Einengungen in der weiblichen Mode wie
beispielsweise des Korsetts hätten zu immer wieder neuen
Inszenierungen zur Betonung der weiblichen Silhoutte geführt. So
rückten im Falle der Hosen nicht nur die Beine, die nun schlank,
lang und länger sein sollen, ins für alle sichtbare Blickfeld,
sondern auch Po und Genitalien. Diese Angleichung an "Männlichkeit"
habe paradoxerweise, entgegen der ursprünglichen Intention, mehr als
je zuvor den weiblichen Körper in den Fokus der genauen Betrachtung
gestellt, von dem nun verlangt werde, trainiert und mit dezenten
Muskeln ausgestattet zu sein. Dadurch sei eiserne Disziplin mit dem
ganzen Programm an Sport und Diäten für die Frauen zum neuen
Auftrag geworden.
Die Unisexmode sei daher eine extrem
widersprüchliche Angelegenheit, konstatiert Vinken. Die angestrebte
"emanzipatorische Bewegungsfreiheit für Frauen" - Hosen,
kurze Röcken, offenes Haar etc. - sei folglich ein Eigentor. Auch
heute noch ordne sich die Form der praktischen Funktion nicht unter,
im Gegenteil: Sie schiebe sich um ihrer selbst willen in den
Vordergrund: "Weibliche Mode stellt immer zur Schau, und das
vielleicht gerade dann am effektivsten, wenn sie ostentativ darauf zu
verzichten scheint".
Unisex verschärft die Differenz
Die Geschichte der weiblichen Mode sei
daher keine "Erfolgsgeschichte einer Subjektwerdung nach
männlichen Mustern", sondern erzähle "vom Objektwerden
des Weiblichen, von Entfremdung, Verdinglichung und Fetischisierung".
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei Weiblichkeit im
Rahmen der modernen Konsum- und Warenkultur zum Spektakel verkommen.
Ob als Revue-Girls, Chorus-Girls, Show-Girls - anziehend durch ihren
Sex-Appeal, werden Frauen seither zur Schau gestellt wie Waren. In
dieser Perspektive würde die Mode hemmungslos die sinnliche
Erscheinung der Frauen, die nichts anderes mehr sei als die
hergerichtete Hülle, bekräftigen. "Während Männer zu
selbstbestimmten, geschichtsmächtigen Subjekten geworden sind, ist
Weiblichkeit zur Ware und die Ware weiblich geworden", so die
Autorin, die in der Entfremdung und Verdinglichung der Mode "die
freudlose Rückseite der Emanzipation" ortet. Speziell an der
Unisexmode würde die Gleichheit von Frau und Mann zur Farce werden.
Sie sei nicht nur "alles andere als unisex", sondern
unterstreiche im Gegenteil gerade das, was die Geschlechter trennt,
und verschärfe dadurch die Differenz.
Wenn Kleider sprechen
"Was immer eine Frau in der
Öffentlichkeit sagt, ihre Kleider scheinen dabei in einer Weise
mitzusprechen, die bei Männern undenkbar ist. Nicht was sie sagt,
sondern was sie trägt, zählt." Ihre Kleider, ihre Frisur, ihr
Aussehen insgesamt ist nach wie vor Kommentare wert, beim Mann
hingegen wird darauf nur selten ein Wort verschwendet. Emanzipation
hin oder her, schlussfolgert Barbara Vinken, es sehe ganz danach aus
"dass wir uns noch in der Geschlechterordnung des 19.
Jahrhunderts befinden. Unisex ist vielleicht Wunschvorstellung oder
Horrorszenario, aber sicher eines nicht: Realität."
Woran das wohl liegen mag? Diese
Antwort bleibt die Autorin leider schuldig. Obwohl sie zu Beginn
ihres Buches schreibt: "Der Modewandel hat System. Fragt sich
nur welches?", hält sie sich in ihrer immerhin über 230 Seiten
starken Abhandlung nicht damit auf, die Zusammenhänge von Mode und
den sie möglicherweise beeinflussenden gesellschaftspolitischen
Faktoren näher zu durchleuchten bzw. auch auf jene Subkulturen zu
verweisen, in denen geschlechterduale Mode-Diktate schon längst
unterlaufen werden. Dennoch: ein überaus interessantes und
kritisches Buch.